Tag 64
Ich danke dem Herrn, dass er mir diese Söhne geschenkt hat. Ich durfte viel von ihnen lernen.
Ich liebe Euch.
Nach dem Frühstück bin ich mit Ingeborg und Corona rausgeschwommen zum Ponton. Ein bisschen in der Äquatorsonne brutzeln, über mögliche Ausflugsziele reden und wieder zurück ans Land. Salzwasser abduschen und ab auf die Liege. Nachdem ich noch ein bisschen zum inneren Kind gelesen habe, war mir nach Ruhezustand. Ich liebe diesen Zustand zwischen Wachsein und Schlafen, wenn kreative und fantasievolle Gedanken freie Bahn haben. Mein Ältester, Patrick, kam mir in den Sinn. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte er regelmäßig heftige Rückenschmerzen, die ihm schon ordentliche Probleme bereitet haben und an seiner Lebensfreude nagten. Er hat dann den Weg zurück zum Sport gefunden und die Schritte seiner Entwicklung und seiner Erkenntnisse auf Instagram gepostet. Inzwischen verfügt er über eine erhebliche Follower-Gemeinde und einen Körper, bei dessen Anblick auch Klosterfrauen nervös werden… 😉 Vor einigen Tagen schrieb er, dass rückblickend betrachtet seine Rückenschmerzen sein bester Freund sind. Natürlich verstehe ich, was er damit sagen will. Dennoch ist die Aussage falsch. Nicht seine Rückenschmerzen sind sein bester Freund, sondern er selbst ist sein bester Freund. Die Rückenschmerzen sind das eine, doch das entscheidende ist seine Reaktion auf seine Schmerzen. Irgendein sehr weiser Mensch, sein Name ist mir im Augenblick entfallen und das Büchlein, in dem ich den Spruch gelesen habe, lagert wohl verpackt in einer Umzugskiste in Berlin, hat einmal gesagt, „die meisten Menschen verpassen Gelegenheiten, weil sie im Overall daherkommen und nach Arbeit aussehen“. Mein Sohn hat die Gelegenheit, die sich ihm durch seine unerträglichen Rückenschmerzen bot, beim Schopf ergriffen und sich der Arbeit des körperlichen Trainings ausgesetzt. Ich darf als Vater mit tiefer Freude feststellen, dass er sich neben seiner körperlichen Baustelle auch noch großen und schmerzhaften seelischen Baustellen zugewandt hat, voller Tapferkeit und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber und ich glaube, nein ich stelle fest, dass es ihm heute besser geht. Besser auf allen Ebenen. Gerald Hüther, der deutsche Gehirn Papst sagt „wenn du Gott zum Lachen bringen willst, plane dein Leben“. Nach der Erfahrung meines Lebens stimme ich diese Aussage zu 100 % zu. Das Leben ist nicht planbar. Wie sagt der Volksmund? „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“. Das Leben teilt uns Chancen zu. Manchmal sind diese Chancen offensichtlich, doch es erfordert größten Mut, sie zu ergreifen. Wie im Falle meines Sohnes Bastian, als er in Kolumbien seine Diana kennenlernte. Eine sensationelle Frau, so schön, so klug, so lieb, dass sie offensichtlich als Chance zu verstehen war. Diese Chance zu ergreifen und mit 21½ Jahren ein bisschen Kram in einen Seesack zu stopfen, um mit einem One-Way-Ticket nach Kolumbien zu fliegen, ohne Sprachkenntnisse, ohne Wohnung, ohne Beruf, nahezu ohne Geld, beweist so viel Mut, Entschlossenheit und Glauben, dass es mir auch heute noch die väterliche Brust schwellen lässt. Patricks Rücken und mein Prostatakrebs sind vom Potenzial her die gleichen Chancen. Etwas schwieriger zu erkennen, als eine südamerikanische Schönheit, doch dafür lagen sie vor der Haustür und nicht 9.000 Kilometer entfernt. Andere Menschen mit anderen Strukturen und anderen Lebensaufgaben bekommen eben andere Chancen. „Gott würfelt nicht“, sagte Einstein. Ich habe auch mehrfach gesagt, dass der Krebs mein Freund ist. Ja klar, das hätte ich bei Bauchspeicheldrüsenkrebs mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gesagt, denn da würde ich wohl seit mehr als zwei Jahren unter der Erde liegen. Doch ich habe vom Leben eine fantastische Chance zugespielt bekommen und glaube sagen zu können, dass ich sie gesehen, verstanden und ergriffen habe. Die letzten dreieinhalb Jahre waren unfassbar, unglaublich, sensationell, eine Ansammlung von Superlativen. Ich bin sehr weit unten gewesen, hatte sehr schmerzvolle, sehr harte, sehr dunkle Zeiten, doch nun sitze ich hier auf meiner Veranda im Paradies und es geht gerade ein sanfter Tropenregen nieder. Das Leben hält an und wird mit einer warmen Decke, die aus dem Geräusch von fallenden Tropfen gewebt ist, zugedeckt. Alles ist gut. Ich bin dankbar. Was für ein sensationelles Leben. Als im Sommer 2015 der Krebsverdacht ausgesprochen wurde, habe ich Bilanz gezogen und kam zu dem Schluss, mein Leben verkackt zu haben. Heute bin ich mit mir selbst ausgesöhnt. Ich werde gleich die Feldarbeit machen, die Mario mir beim Reading beigebracht hat. Darin kommt der Satz „ich liebe mich selbst aus tiefstem Herzen“ vor. Früher wäre dieser Satz der blanke Hohn gewesen. Heute kann ich ihn sprechen, fühlen und glauben.
Vielleicht hat Gott für mich noch das eine oder andere Ass im Ärmel stecken. Ich bete, dass ich die Augen geöffnet habe, wenn er es spielt.