„Die Seele ist das größte Organ!“

Die Reaktionen auf den Blogbeitrag gestern sind herzzerreissend. Ich glaube, ich spreche im Namen aller, die den Weg von Götz jetzt begleiten, dass es unheimlich tröstend ist, sich in dieser Gemeinsamkeit wiederzufinden. Wir sind nicht allein und vor allem Götz ist nicht allein.

Danke an Dich, Toni, der Du gerade viel tragen musst. Danke, dass Du uns teilhaben lässt. Mir persönlich geben Deine Beschreibungen die Möglichkeit, Götz nochmal ein bisschen Näher sein zu können. Es gibt mir das Gefühl, ihn ein Stück begleiten zu können. Du hast heute in einer Nachricht einen wunderbaren Satz geschrieben: „Die Seele ist das größte Organ!“ – Wenn das so ist, dann wird Götz spüren, wie viele Menschen gerade bei ihm sind.

Hier ein weiterer Bericht von Toni – Danke!

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Lieber Michael,

wie ich Dich heute schon telefonisch über die fortschreitende Verschlechterung Götz` Zustand informiert habe, hier wieder ein paar Zeilen für den Blog, über die Du natürlich wieder frei verfügen kannst.

Freitag, 14.05.2021

Sein Zustand hat sich ein Stück weit verschlechtert…

Als ich Götz gestern verlasse, fasse ich den Entschluss, die Abstände meiner Besuche zu verkürzen. Ich möchte in dieser schweren Zeit noch öfter bei ihm sein, sei es nur ihm das Gefühl zu geben, nicht alleine zu sein. Meinen Besuchstagen, in aller Regel Montags und Donnerstags füge ich daher den Samstag hinzu, also morgen….

Was ich gestern noch nicht ahnen kann, ist der Anruf, den ich heute morgen aus dem Hospiz erhalte…

Im Wesentlichen geht es in diesem Gespräch um zwei Dinge: zum Einen werde ich darüber informiert, daß Götz bei der gestrigen Umbettung (Er wird zum Schlafen von zwei Kräften aus der Rückenlage auf die Seite gedreht) vor Schmerzen laut geschrien hat, worauf seine Schmerzmittelversorgung nun über einen Zugang intravenös erfolgt.

Weiterhin werde ich gefragt, ob es in Ordnung sei, wenn seine T-Shirts von nun an hinten aufgeschnitten werden, weil sie so leichter Anzulegen seien. Ein Anziehen über den Kopf verursache zu viel Pein….

Da ich für Götz eine Art „Versorgungsoffizier“ bin, weiß ich auch über seinen T-Shirt Bestand bescheid, weil ich diese immer wasche. Er hat fünf Bunte und 20 Weiße. Die bunten Shirts kennen wir alle, er trägt sie regelmäßig in seinen Blogs. Also entscheide ich schnell und gebe seine weißen T-Shirts zur Aufschneidung frei, schon mit dem Gedanken, die Bunten für ein Andenken an ihn zu bewahren. Vielleicht gibt es jemanden oder mehrere unter uns, die sich eines davon zur Erinnerung wünschen…

Nach diesen Telefonat mache ich mich fertig und fahre ins Hospiz zu Götz. Da ich 2013 einen Freund von mir beerdigt habe, weiß ich, daß mit der intravenösen Morphiumversorgung „the point of no return“ beschritten ist. Jeder Tag, den ich nicht bei ihm sein werde, wird am Ende fehlen…

Ich komme in sein Zimmer (O2, wie passend…), die Pflege ist bei ihm. Er trägt ein weißes T-Shirt und macht einen wachen Eindruck. Die grüne Schmerzmittelversorgungs-Apparatur sticht mir ins Auge, ein dünner, durchsichtiger Schlauch führt zum Zugang an seinem Hals. Götz hat die Augen über weite Strecken offen und es gelingt ihm sogar, mich ein-, zweimal direkt anzuschauen. Ich speichere diesen Augenblick in meinem Handy, mache ein Foto, bevor sich sein Blick im Nichts verliert. Im Ganzen gesehen, hat sich Götz Zustand weiter verschlechtert, ein Austausch findet komplett nonverbal statt, er spricht nicht mehr. Vereinzelt gibt er Laute von sich, welche ich zu meinem größten Bedauern nicht einordnen kann, obgleich ich das Gefühl habe, er möchte mir etwas sagen.

Ich bin heute drei Stunden bei ihm und es ist mein erster Besuch ohne Rauchen, ohne Kuchen, ohne Kaffee, ohne Balkon oder Wintergarten….ohne Alles…es zerreisst mir fast mein Herz.

Michael schickt mir eine WA-Nachricht. Es geht um Betty, sie möchte Götz eine Sprachnachricht zukommen lassen. Ich öffne Götz Handy und spiele ihm die Nachricht vor. Zweimal. Beim ersten Mal döst er, dann lauscht er mit offenen Augen und ich meine, eine positive Reaktion vernehmen zu können.

Die Pflege kommt ins Zimmer. Ein Telefonat mit Götz´ Rendsburger Bestatterin hat ergeben, daß wichtige Unterlagen fehlen. Ich überfliege seine Korrespondenz, finde die Schriftstücke und rufe die Bestatterin an. Alles in Ordnung.

Kurz darauf werde ich über den bevorstehenden Besuch seines Arztes informiert. Während der Visite verlasse ich das Zimmer und habe danach ein kurzes Gespräch. Auf meine Frage, ob sich Götz Zustand noch einmal zum positiven verändern kann, sagt er, daß dies definitiv nicht der Fall sein werde. „Er befindet sich auf der Zielgeraden“, wobei er nicht mit Sicherheit sagen könne, wie lange er noch haben werde. Vielleicht Wochen, vielleicht Tage.

Ich lege die Sachen für Götz letzte Reise raus, packe die bunten T-Shirts ein verabschiede mich für heute von meinem Bruder. Dann rufe ich Patrick an und sage ihm, das jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, seinen Vater noch einmal zu sehen. Er kommt direkt morgen und wir beide sind dann vor Ort…

Zum Schluss noch ein kurzes Wort in eigener Sache:

Götz beantwortet seit dem 08.05. telefonische Anrufe, Nachrichten, etc., nicht mehr. Da ich als sein ständiger Begleiter weiß, wie er sein Handy entsperrt, mache ich von diesem Wissen in der Form Gebrauch, ihm Musik über sein Handy vorzuspielen, weil er das liebt, und ich habe auch einen Blick auf seine Nachrichten und Anrufe geworfen, für den Fall wichtiger Dinge von Leuten, die ich kenne. Leider kenne ich nicht Jeden und ich habe daher auch nicht Jedem geantwortet. Insofern bitte ich zu berücksichtigen, daß Götz nicht mehr antworten kann und auch nicht wird, selbst wenn der Eindruck entstanden ist, er habe die Nachrichten gelesen. Das hat er nicht.

Ich fahre morgen wieder zu ihm und werde das auch jeden weiteren Tag tun. Toni.

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Danke, Toni, dass Du noch die Kraft findest, diese Texte zu schreiben. Das ist nicht selbstverständlich. Pass auch auf Dich auf.