Finde für heute keine passende Überschrift

Seit Tagen habe ich keinen Kontakt mehr zu Götz. Schaue immer wieder hoffnungsvoll auf mein Handy, aber die beiden Häkchen auf WA werden einfach nicht blau. Es wird mir klar – er kann sie nicht mehr lesen. Sein Zustand muss sich verschlechtert haben. Normalerweise sind wir Dienstags oder Mittwochs zum Gespräch verabredet. Ich mache mir Sorgen. Ich schreibe seinen Bruder Toni an. Wir telefonieren und meine Befürchtungen bestätigen sich. Der Zustand von Götz hat sich verschlechtert – er wird keine Videos mehr aufnehmen können.

Heute wieder mit Toni telefoniert. Er ist zweimal die Woche bei ihm. Er beschreibt die Situation so:

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Hallo Michael,

hier nun ein paar Zeilen zu Götz´ Zustand… . Ich hoffe, Du kannst damit etwas anfangen, ansonsten stehe ich Dir für Fragen oder was auch immer zur Verfügung,

alles Liebe, Toni

Donnerstag, 06.05.2021

Wenn ich einmal davon absehe, daß Götz`Kraft in den letzten Wochen merklich nachgelassen hat, haben sich im Vergleich zu meinen vorherigen Besuchen zwei deutliche Unterschiede bemerkbar gemacht:

Es fällt Götz schwerer zu sprechen, einige Laute bringt er nicht mehr wie gewohnt heraus. Es entsteht der Eindruck, er lalle/lispele ein wenig und ich merke, daß es ihn das Sprechen anstrengt.

Er verzichtet darauf, in seinem Rollstuhl „Norbert“ auf den Balkon gefahren zu werden, weil, wie er mir sagte, die Verbringung vom Bett aus in den Rollstuhl sei für ihn zu schmerzhaft.

Trotzdem verbringen wir schöne Stunden miteinander. In seinem Bett bringen wir ihn in den Wintergarten, wir genehmigen uns ausnahmsweise eine kleine Zigarre, geniessen Kaffe und Kuchen. Anschliessend erledigen wir auf seinem Zimmer den anstehenden Papierkram, ich scanne, Götz schickt die Sachen übers Handy weg.

Ich verabschiede mich wie immer an Donnerstagen mit den Worten „Tschüss Götz, wir sehen uns am Montag.“

Montag, 10.05.2021

Seit zwei Tagen antwortet Götz weder auf Whatsapps, noch auf Anrufe, etc…. . Am 08.05. um 09.26 Uhr erhalte ich noch eine Sprachnachricht von Götz, danach bricht sein Kontakt zur Aussenwelt ab.

Als ich ins Hospiz komme, werde ich von der Pflegeleitung auf ein Gespräch abgefangen. Götz erhält seit dem Wochenende morphine Schmerzmittel, sein Zustand sei schlechter.

Ich komme ins Zimmer und Götz fragt mich, wie lange ich schon da sei. An diesem Tag ist alles anders. dies wird mir klar, als er auf die Frage der Schwester, wie es ihm ginge, mit „es beschleunigt sich“ antwortet.

Die Veränderungen seines Zustandes sind nicht zu übersehen. Seine Augen hält er die meiste Zeit geschlossen, wenn er sie öffnet, ist er für einen kurzen Augenblick voll da und ansprechbar, aber er döselt schnell wieder weg…Gespräche sind nicht möglich.

Als wir im Wintergarten sind, gelingt es ihm zwar, seine Zigaretten selbständig aus der Schachtel zu nehmen und auch anzuzünden, aber dann verglühen sie, weil er nach dem ersten Zug wegdriftet. Sein Kaffee ist ihm zu heiß, er kann ihn erst trinken, als die Tasse fast kalt ist. Seinen Kuchen hat er ohne Hilfe essen können, aber der Vorgang fiel ihm sehr schwer und hat gefühlt Stunden gedauert. Sein Handy macht nicht mehr, was er will. Dies wird deutlich, als er in meinem Beisein eine Sprachnachricht an Dich, Michael, in sein Handy spricht, mir sagt, das sei erledigt und diese Sprachnachricht Dich aber nicht erreicht hat. Götz kann unter der Medikamentengabe seine Hände nicht mehr wie gewollt koordinieren. Sein Handy, die Fernsteuerung seines Bettes, usw. kann er nicht mehr bedienen. Ich halte seine Hand und entgegen der sonst kräftigen und dauerhaften Erwiderung empfängt mich, fast wie Morsezeichen, ein Abwechseln von Druck und Nachlassen…

Donnerstag, 13.05.2021

Heute ist Vatertag und ich besuche Götz wie stets. Meine Hoffnung auf eine positive Veränderung erfüllt sich nicht. Das Gegenteil ist der Fall.

Heute gibt es zum ersten mal, seit ich Götz während seines Aufenthaltes hier im Hospiz besuche, weder Kaffee noch Kuchen. Nicht, weil er nicht möchte, sondern weil er das einfach nicht mehr schafft. Trotzdem schieben wir ihn in seinem Bett in den Wintergarten an die frische Luft. Götz möchte rauchen und ich reiche ihm heute nur zwei anstatt der gewohnten vier Zigaretten an, asche für ihn ab. Ich reiche ihm Feuer und er zieht an der Zigarette. Je zweimal an jeder, für mehr reicht es nicht. Er möchte trinken und ich reiche ihm Wasser aus der Schnabeltasse an.

Was hat sich im Verhältnis zu Montag verändert?

Götz` Kommunikationsfähigkeit hat weiter abgenommen. Er reagiert auf direkte Fragen, w.z.B. „Möchtest Du etwas trinken?“, „Möchtest Du rauchen?“, mit „Ja/Nein“ oder einem vernehmlichen Grummeln. Seine Anteilnahme hat weiter abgenommen, er schlägt die Augen nur noch für kurze Augenblicke auf, sein Blick schweift fast ausnahmslos in die Ferne. Ich frage die Pflege, ob es zu erwarten steht, daß sich Götz` Zustand noch einmal bessert. Es sei nicht davon auszugehen lautet die Antwort.

Was soll ich sagen? So, wie die Zeichen nunmal stehen, wird sich Götz in absehbarer Zeit auf seine letzte Reise begeben….

Es finden keine Gespräche mehr statt und ich vermisse das.

Als ich mich für heute von ihm verabschiede, schaut er mich an und sagt „Danke“.

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Danke, Toni, dass Du uns daran teilhaben lässt und wir so in Gedanken Götz noch ein bißchen begleiten können. Ich wünsche mir, dass er  spüren kann, dass wir alle da sind. Und vielleicht hilft es uns untereinander ja auch, zu wissen, dass wir nicht allein sind in der Sorge um Götz.

 

 

 

 

Wie geht es jetzt weiter? Gespräche mit Götz werden hier nicht mehr möglich sein. Mehr weiss ich auch nicht. Wir werden sehen. Ich bin erstmal sprachlos. Man muss ja auch nicht immer eine Idee haben, wie es weitergeht. Vielleicht muss man einfach auch nur mal innehalten und warten.

4 Gedanken zu „Finde für heute keine passende Überschrift

  1. Jörg Heinicke

    Wir haben es alle gewusst und doch fällt es nun so schwer zu akzeptieren, dass der Abschied näher und näher rückt. Ich bin sehr traurig. In Gedanken bin ich bei meinem Freund Götz und ich hoffe, dass er nicht leidet. Jetzt stürmen meine Zwerge ins Zimmer, ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und mache weiter…

  2. Betty

    Lieber Micha, lieber Toni, liebster Götz,
    ja, wir wussten, es wird der Moment kommen. Und doch kommt er immer zu schnell, nie zum richtigen Zeitpunkt und, verdammt nochmal immer zu früh.
    Vor 2 Wochen rief ich dich an, Götz, aber da ging es dir schon nicht mehr gut genug um zu reden. Deine Stimme war schwach. Ich war traurig. Ich sitze hier, so weit weg, in der Türkei. Vor 2 Tagen habe ich ausgemistet, und deine 2 Pullis, die du nach deiner Abreise hier gelassen hast, weil du wusstest, du würdest sie auf Bali nicht brauchen, sind mir in die Hände gefallen. Nun werde ich sie bei mir belassen, als Erinnerung an dich und die gemeinsame Zeit hier. Ach Götz…..

  3. Thomas M.

    Vielen lieben Dank Micha und vor allem Toni für die offenen Worte. Ich bin zu tiefst ergriffen das zu Lesen und das Wort „traurig“ trifft es nicht ganz, wie ich mich dabei fühle. Wir wussten, dass irgendwann diese Zeilen kommen. Aber es zu Lesen ist schwer. Es stimmt aber was Du schreibst Micha. Wir sind, danke eures großartigen Blogs, immer bei ihm. Die ganze Zeit schon gewesen. Und das macht mich irgendwie ein Stück stolz und zufrieden. Ich kann mich heute Morgen noch nicht so klar ausdrücken, aber ich hoffe es kommt rüber, was ich meine. Ich drück Euch aus Leipzig alle mit. Götz ganz fest!

  4. Heike

    Lieber Toni,lieber Michael,

    vielen Dank für die erschütternden und doch auch so gut beschreibenden Worte, die Du Toni verfasst und Michael geteilt hast.
    Ich lasse gerade meine Tränen Rollen…hatte gestern noch die Gedanken schweifen lassen zu seinem 60. Geburtstag in wenigen Wochen, herje.

    Tief in Gedanken, liebe Grüße Heike

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