Tag 11

Tag 11

Mit verspannter Kiefermuskulatur aufgewacht. Das ist immer ein Zeichen für Druck, Anspannung und dass irgendwelche inneren Prozesse anklopfen. Da ist also noch was im Busche. Meistens komme ich dann finster drauf und führe destruktive, innere Dialoge. Ging auch schon wieder los. Der Nörgelheini in mir lief sich warm. „Ist doch sowieso alles Blödsinn hier, führt doch zu nichts, alles sinnlos…“ So in dem Stil und der Tonlage von „ich hab’s doch schon immer gewusst und Dir schon 1.000 Mal gesagt, aber du hörst ja nicht.“

In der Stimmung um 6 Uhr in die Messe. Es war was besonders, der Abt hatte ein weißes Gewand an. Ich verstehe ja immer noch kein Wort und so mache ich Änderungen eben an Äußerlichkeiten fest. Der Zivilbedienstete vor mir ist mein Buddy, was der macht, mache ich auch. Irgendwann geht er zur Mitte der Kirche und macht mir sogar ein Zeichen zu folgen. Dann stehen wir nebeneinander und er senkt den Kopf. Also senke ich auch den Kopf und blicke zu Boden. Der Abt ist vorher auch in die Mitte getreten und hält einen großen Kelch, dessen Öffnung mit einem reich bestickten Tuch abgedeckt ist. Die ganze Zeit betet der Abt (nehme ich an, wie gesagt, kein Wort…)und auf einmal berührt der Abt mit dem Rand vom Fuß des Kelches meine Stirn. Nur einmal drangetippt. Das kühle Metall an meiner Stirn unterbricht meinen Gedankenkreis. Wie „Strg+Alt+Entf“ und das System wird neu gestartet. Als ich wieder aufblicke, bemerke ich, dass hinter dem Fenster der Kapelle ein schöner Tag anzubrechen scheint. Ein dunkelblauer Himmel und am unteren Rand ein roter Streifen.

Der Abt lädt mich wieder auf einen Kaffee in die Küche ein. Die Küchenfrau backt Brot auf der Eisenplatte vom Holzherd und gleichzeitig backt sie auf dem Gasherd in einer großen Pfanne Pfannkuchen. Ich bekomme einen frischen, türkischen Kaffee und einen frisch gebacken Pfannkuchen, größer als ein Essteller, der vor meinen Augen mit Puderzucker bestreut wird. So sitzen der erwachsene Mann und der kleine Junge in mir auf dem Stuhl, mümmeln den Pfannkuchen, trinken den Kaffee und fühlen sich einfach nur umsorgt und zufrieden. Wenn ich noch klein wäre, hätte ich beim Essen die Beine baumeln lassen. Kennt ihr den Begriff bemuttert werden? Davon habe ich als Kind nicht viel bekommen, das war keine Stärke meiner Mutter, wie ich ohne böse nachzureden faktisch feststellen kann. Das fehlt dem kleinen Jungen in mir und heute ist er, sind wir von der Küchenfrau bemuttert worden. Und es ist mir scheißegal, dass ich ein 57-jähriger Opa bin, ich habe es genossen.

Danach wieder in mein Zimmer und beim Blick aus dem Fenster stockte mir der Atem. Der alte Wolkenschieber hat einen Sonnenaufgang rausgehauen, dass man nur noch sprachlos zuschauen kann. Ich habe mich auf meinen Stuhl gesetzt und teilgenommen an diesem Schauspiel. Die Sonne ergießt sich von oben über die Baumwipfel im Hintergrund, um dann irgendwann über die Dächer der Häuser den Innenhof zu erreichen und zu fluten. Danke, Herr, für die schnellen Antworten! Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Später am Tag war ich wandern. Ihr kennt doch alle das Ziel, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Kein Zusammenhang? Warte ab! Den Verstand ausschalten und nur sein. Eckehard Tolle spricht in seinem Buch „Jetzt“ von dem Zustand „No-Mind“. Bisher war meine Meinung, dass dieser Zustand unglaublich schwierig zu erreichen sei. Mindestens 10 Jahre Meditation oder Yoga oder Entspannungsübungen mit unterstützenden Drogen oder sowas. Weit gefehlt! Heute habe ich gelernt, wie jeder von uns No-Mind binnen 5 Minuten erreicht. Man nehme eine rumänische Schotterpiste, die frisch vom Schnee geräumt ist, leichte Minustemperaturen und Sonnenschein. Da wechseln sich griffige Stücke mit spiegelglatten Flächen in munter wechselndem Rhythmus ab. Wenn Du jetzt nicht im No-Mind bist und Dich ausschließlich darauf konzentrierst, wohin Du Deinen Fuß als nächstes setzt, fliegst Du so was von auf die Fresse, dass es eine wahre Freude ist. Bis ich es verstanden hatte, habe ich Turnübungen gemacht von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie noch kann. Sensationell. Wenn man sich hier abpackt und die Gräten bricht, geht es einem wie dem Verletzten in Bonanza. Wisst Ihr noch wie das war, wenn Little Joe einen Verletzten ins Haus geschleppt hat? Ben Cartwright hat sich mit besorgter Miene über den Mann gebeugt und dann zu Hoss gesagt „reite in die Stadt und hol den Doc“. Da wusste man, jetzt ist die Lage ernst, denn bis der Doc da ist, vergehen mindestens zwei Tage. Bis dahin mussten die Künste von Hop Singh, dem chinesischen Koch reichen. So in etwa wäre das hier auch. Hier kommt keiner und ein Funknetz gibt es auch nicht. War eine tolle Wanderung im Hier und Jetzt. Leichte Abweichungen von No-Mind sind von kleineren Eisflächen zuverlässig korrigiert worden…

5 Gedanken zu „Tag 11

  1. Schwester S.

    Strg+Alt+Entf – Wie gut, dass der Kelch deine Brille wieder gerade gerückt hat. Du machst das richtig, Bruder. Alles ist gut. Und danke, dass du mich an Bonanza erinnert hast: Ein Stück heile Westernwelt für die Kinderseele 🙂 BUSSI

    • GoetzWache2018 Autor des Beitrags

      Ja, wir zusammen im Wohnzimmer bei Bonanza. Später „Die Leute von der Shiloh-Ranch“. Wurde das so geschrieben?

    • GoetzWache2018 Autor des Beitrags

      Gerne. Es hilft mir, mich und meine Gedanken zu sortieren und es soll ja auch Freude machen. Passt.

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