Tag 17
Gestern Abend war es soweit. Beim Zähneputzen macht es „klack“ und ich spucke das Inlay aus. Oben rechts, ganz hinten. Und nun? Als mir das vor Jahren in Köln schon mal passierte, bin ich am nächsten Tag mit dem Inlay in der Hand zu meinem Zahnarzt in Berlin gedackelt, um es neu einkleben zu lassen. Was sagte der alte Praktiker und Papst des metallfreien Zahnersatzes damals? „Ich geb‘ Dir mal so’n Selbsthilfe-Set mit. Dann kannst Du das Inlay selbst wieder reinpappen, dass hält erstmal für Wochen.“ Seit dem schleppe ich das Set in meinem Kulturbeutel mit mir rum. Ist im Grunde nichts weiter als 2-Komponenten-Kleber und ein Spatel. Was soll ich sagen? Drei Mal trocken geübt, damit das Inlay nicht irgendwo im Mund festklebt und dann Attacke. Voll geil. Sitzt wieder, als ob nichts gewesen wäre, ohne Murren oder Puckern vom Zahn. Ich bin ein Glückskind und habe tolle Ärzte.
Ich wollte Euch meine Menschen hier vorstellen. Pater Constantin kennt Ihr ja schon. Der einzige, von dem ich sonst noch den Namen kenne, ist der Abt. Er heißt Calinic und ist definitiv Chef von‘s Janze. Alle Äbte sind nicht nur religiöses Oberhaupt des jeweiligen Klosters, sondern auch der Manager der Einrichtung. Calinic ist fraglos eine Führungspersönlichkeit. Er hat in etwa meine Größe, also knapp über 1,80 m, ist schlank, hat schwarze Haare mit mönchstypischem Zopf und einen schwarzen Vollbart mit ersten grauen Fäden. Sein Gesicht ist schmal geschnitten mit großer, schlanker Nase in leichter Adlerform. Seine Augen halten Dich fest und schauen klar, offen, aber auch bestimmend. Setz ihm ein Barett auf, häng ihm eine Kalaschnikow um und Du hast den perfekten, kubanischen Freiheitskämpfer. Schick ihn zum Frisör, steck ihn in eine Bundeswehruniform und vor Dir steht das Musterexemplar eines Regimentskommandeurs. Der Laden würde laufen und alle wären zufrieden, da bin ich mir ganz sicher. Er geht mit weiten, raumgreifenden Schritten und ist ständig in Bewegung. Wäre er ein deutsches Schulkind, hätte er eine ADHS-Diagnose und würde mit Ritalin ruhig gestellt. Die Energie, die er ausstrahlt, ist heftig. Ich habe ihm beim Essen einmal gegenüber gesessen. Da macht die Energie keinen Spaß, denn auch die Nahrungsaufnahme erfolgt energisch. Im Augenblick hämmert er an der Schneefräse, an der er gestern den ganzen Tag gekämpft hat, um die Kardanwelle zwischen Traktor und Fräse anzupassen. Meine eher nebulöse Vorstellung von einem Abt hat er auf jeden Fall um viele Facetten erweitert. Während der Messe, wenn Bruder Tuck die Psalmen liest und er etwas Pause hat, verlässt er schon mal den Altarraum nach hinten raus und füllt nebenan frisches Holz in den Brenner. Dann kommt er wieder rein und steigt nahtlos ins Geschehen ein. Oder er hat gerade nichts zu tun im Ablauf und putzt dann die Heiligenbilder hinter Glas. Du stehst so rum und hörst auf einmal das Quietschen von Zewa Wisch-und-weg mit W5-Glasreiniger von Lidl auf Heiligenbildern. Das lockert so’ne Messe ungemein auf. Außerdem kann der Mann singen. Er haut einen Bass aus seinem im Verhältnis dazu doch eher zierlichen Körper raus, dass jeder Chorleiter in Ehrfurcht erstarrt und im Geiste schon mal das Abwerbungsgespräch vorformuliert. Klar, kraftvoll und jeder Ton sitzt. Wirklich schön und beeindruckend. Er kümmert sich um die seinen und hat die schöne Tradition begründet, dass ich jeden Morgen nach der Frühmesse einen Kaffee bekomme. Sollte ich noch mal hier her kommen, lerne ich vorher Rumänisch. Zumindest so viel, dass ich ihm sagen kann, wie sehr ich ihn schätze.
Schon wieder so viel Text. Erstaunlich, wie viel aus mir heraus fließt. Aber einer geht noch. Bruder Tuck! Ich weiß ja nicht, wie er heißt und so habe ich denen, deren Namen ich nicht kenne, meine eigenen Namen gegeben. Jeder von Euch hat mindestens einen Robin Hood Film gesehen und kennt Bruder Tuck, den dicken Mönchskumpel vom alten Robin. Bingo, Ihr habt das passende Bild im Kopf. Oben drauf noch den Kopf von Bud Spencer mit ergrautem Rauschevollbart und den Augenbrauen vom jungen Theo Weigel setzen. Dazu Hände, die jeden Maurerpolier vor Neid erblassen lassen. Fertig. Zuerst dachte ich, der Mann trüge in seinem Mönchsgewand ein rotes Einstecktuch, doch es ist das rote Innenfutter der Brusttasche, die etwas offen steht, da das Gewand über seiner Leibesfülle doch etwas spannt…
Während der Messe trägt er für mein Empfinden die Hauptlast, denn er liest aus den Büchern vor und der Leseanteil einer orthodoxen Messe liegt bei gefühlten 80%. Manchmal knien wir uns hin zum Beten und dann kommen bei Bruder Tuck die Profilsohlen seiner grünen Gummistiefel zum Vorschein. Ein absoluter Hingucker. Wie man bei aktuellen -9° Grad den ganzen Tag draußen mit Gummistiefeln klar kommt, ist mir völlig unklar, aber er zieht’s durch. Außerhalb der Messe führt er nämlich Arbeiten auf dem Hof aus. Das Kloster ist eine Kirche mit angeflanschtem Bauernhof oder umgekehrt, je nach Betrachtung. Er trägt im Grunde die Kleidung eines Knechts, dazu einen verschlissenen Gewichthebergürtel; ich denke, er hat Rücken. Zur Messe das Gewand drüber und ab geht’s. Beim Essen erzählt er mir immer Geschichten und lässt sich auch nicht davon beirren, dass ich nichts verstehe. Manchmal erzählt er, ich verstehe „Germania“ und dann lachen alle. Wird Gründe haben. Er isst gerne, völlig überraschend. Gestern gab es Pansensuppe. Da hat er sich noch vor dem Beten den Teller vollgefüllt. Ich für meinen Teil war heilfroh, dass es auch die Standard-Bohnensuppe gab, sonst hätte ich das erste Mal hungern müssen. Musste so schon die ganze Zeit flach atmen. In einem Comic habe ich mal den Satz gelesen „ein Mann mit Bart hat keine Geheimnisse“. Die ganze Bedeutung dieses Satzes und die ihm innewohnende Weisheit hat sich mir in Gänze erst während der gemeinsamen Nahrungsaufnahme mit Bruder Tuck erschlossen. Wahnsinn, was sich so alles in einem Rauschebart verfangen kann, wenn man nur ordentlich schlingt… Ich mag ihn, er ist eine Seele von Mensch. Noch ein Grund, wieder herzukommen mit Rumänisch Kenntnissen.
Es ist soooo schön...
Götz, ick lieb dir…..Deine Beschreibungen sind einfach unfassbar bildlich und die Winterlandschaft ist plüschig…..soooo klasse
Super geschrieben und Danke für die herrlichen Einblicke.
Und schon wieder so ein wunderbarer Gedankencocktail!