Tag 22

Tag 22

Gleich holen Betty und Fikret mich ab, Gegend erkunden, dütt un datt einkaufen und ganz sicher auch abhängen und Kaffee trinken. Vorher drängt es mich aber, noch schnell die Erlebnisse von gestern aufzuschreiben. Sie wollen ins Freie und klopfen schon an die Tür die Gedächtnisstalles.

Im Wartebereich vorm Gate in Bukarest sitze ich zwei Typen von den Hells Angels gegenüber. Der eine ist ein Prospect, was nach meinem Wissen sowas wie ein Bewerber um die Aufnahme in den Club ist. Auf seiner Kutte steht auch nur MC Turkey, ohne den Schriftzug des Clubs und ohne Wappen. Der andere trägt eine blitzsaubere rot-weiße Kutte mit allem Drum und Dran.

Als ich auf dem Flughafen Istanbul zum Gate für den Anschlussflug nach Antalya laufe, sehe ich die Beiden kurz am Self Check-in. In Istanbul herrschen gegen 18 Uhr gestern laut Flughafenanzeige noch 24° Grad. Plus! Ich bin im Bukarest-Style gekleidet. Outdoor Gore-Tex-Jacke mit herausnehmbarer Fleece-Innenjacke, die aber natürlich nicht herausgenommen ist, sonst müsste ich sie ja nicht erwähnen. Drunter trage ich einen Wollpullover und ein T-Shirt. Alles äußerst angemessen für Bukarest, aber hier haben sich die Temperaturen um knapp 30° Grad zugunsten der Wärme verschoben. Am Gate angekommen gibt es nur eine mögliche Beschreibung für meinen Zustand: Ich zerfließe! Ab auf die Toilette und ausziehen, was auszuziehen ist. Das T-Shirt könnte sofort bei jedem Miss-Wet-T-Shirt-Wettbewerb eingesetzt werden. Aber irgendwann verdunstet auch der letzte Tropfen.

Ich fliege mit Pegasus nach Antalya. Nagelneue Maschine, nettes Personal, aber eine Billig-Fluglinie. Also keine Freigetränke, genauso wie von Bukarest nach Istanbul, nur dieses Mal hat der Junge die Kreditkarten nicht im Gepäck untergebuddelt, sondern griffbereit in der Hosentasche. Als die reizende Dame mit dem Getränkebollerwagen vorbeikommt, ordere ich zwei Dosen EFES-Pilsner und zahle mit meiner goldenen American Express. Das ist unfassbar dekadent, aber auch unfassbar geil… 🙂 Diese beiden Dosen erreichen auf jeden Fall einen Platz unter den Top 10 meiner persönlichen Genuss-Hitliste.

Randnotiz: wenn Du aus Rumänien über Istanbul mit Gepäck-Transfer nach Antalya fliegst, kommt Dein Gepäck nicht auf dem Band für Deinen Flug an, sondern am anderen Ende des Flughafens auf dem Band für Foreign-Luggage. Kein Problem, wenn man’s weiß. Als ich traurig auf das leere Gepäckband meines Fluges schaue und mich verstohlen nach Lost & Found umsehe, kommt ungefragt eine Flughafenangestellte auf mich zu und klärt mich ungefragt auf. Jetzt weiß ich’s auch. Immer der orangefarbenen Linie nach. Der Flughafen ist recht groß.

Irgendwann habe ich meinen Krimskrams zusammen, einen spendablen Geldautomaten gefunden und sitze im Shuttle-Bus, den Betty für mich geordert hat. Wer sitzt mir gegenüber? Die beiden Hells Angels. Sie unterhalten sich auf Englisch. Der Busfahrer hat vergessen, im Gästebereich die Lüftung einzuschalten. Nach 20 Minuten herrschen interessante Umgebungsbedingungen in einem vollbesetzten Bus ohne Lüftung und der rot-weiße fordert den Prospect, der scheinbar Türke ist, auf, beim Busfahrer zu intervenieren, was er auch erfolgreich macht. Ich bedanke mich auf Englisch, was das Eis bricht. Kurz darauf steigt der Prospect aus. Der Bus leert sich Station für Station. Als beim Aussteigen einer jungen Türkin festgestellt wird, dass am Flughafen ihr Gepäck vertauscht wurde und sie nun gegen 23 Uhr irgendwie zum Flughafen zurück muss zum Gepäck Rücktausch, kommen der rot-weiße und ich darüber ins Quatschen. Er ist Schwede und für die Hells Angels sowas wie ein Beauftragter für die Beziehungen zwischen den Chaptern in einzelnen Ländern. Wahrscheinlich weil wir beide anteilig graue Haare tragen, ich weniger, er mehr so vollständig und über die Frage, was ich denn im Kloster in Rumänien gewollt hätte, kommen wir über zwei Ecken auf alternative Heilmethoden bei Krebs und anderen schweren Erkrankungen zu sprechen. Er hatte in der Einöde Alaskas einen blutenden Magendurchbruch. Da kann man schon mal mitreden…

Ich finde die Szene so crazy, Du gurkst mit einem Shuttle-Bus mitten in der Nacht an der türkischen Mittelmeerküste längs und quatschst mit einem hochrangigen Hells Angel aus Schweden auf Englisch über alternative Heilmethoden. Wenn Du das als Drehbuchautor vorlegst, wird Dir empfohlen, die Drogen abzusetzen.

Wer war der letzte Gast im Bus? Irgendwann bin ich dann auch angekommen und von Betty und Fikret auf das Herzlichste empfangen worden. Fix noch eine Willkommensflasche zu Dritt und ab ins Bett. Heute Morgen sitze ich in Betty‘s sehr hübschem Appartement und höre die weltbeste Johnny-Cash-Compilation von meinem Freund Frank Deutsch als Endlosschleife.  Nach einer spontanen Tanzeinlage habe ich den Laptop aufgeklappt und die Erlebnisse von gestern an die Tastatur übergeben.

Vor einem Monat habe ich noch in Schleswig-Holstein bei Anke und Marcus gewohnt und in Rendsburg mit den Enkeln gespielt. Was in einen Monat Leben reinpasst, wenn man dem Leben erlaubt zu fließen: unvorstellbar. Danke.

Kurzmeldung Türkei: Gerettet!

Ich war über meine Verbindung zur Außenwelt und der Datenübertragung zum Blog etwas in Sorge. Vodafone Deutschland schrieb, dass ich pro Tag lediglich 5,99 € bezahlen müsste und könne mein Handy dann benutzen wie in Deutschland. Hossa. Mit Betty zum Handyladen ihres Vertrauens gezockelt und einen Großeinkauf getätigt. Für umgerechnet 33,- € gab es bei Turk Telecom 750 Gesprächsminuten, 1.000 SMS und 7 GB Datenvolumen, eines neues Schutzglas und ein neues Cover für mein Handy. Das Ding sieht aus wie neu. Schöne Grüße an Vodafone Deutschland.

Allerletzte Meldung Rumänien: Matthew Tagma schreibt gerade mir über die rumänische E-Mailadresse vladub@yandex. ru den Betreff Hot women for good sex every day

Ob das alle Klosterbesucher nach drei Wochen kriegen? War ja auch ’ne harte Zeit… 🙂 Ich schmeiß mich weg… 🙂 🙂

 

10 Gedanken zu „Tag 22

  1. = sisa

    Endlich wieder WLAN haufenweise und gleich die verpassten Tagebucheintragungen gelesen. So ein Auftakt ist ein Vergnügen. Danke lieber Götz. s

  2. Roolf

    2mal gelesen…
    ich frage mich, warum ich einen Tag wie gestern erleben muss.
    … Mitarbeiterin Krank, selber im Büro, arbeiten für 3, Nachmittags neuer PC IT techniker im Büro, daher arbeitsunfähig…. mal sehen ob es heute läuft…
    alles getan was ich kann, und es war nicht gut genug….

    ist das die Lektion die ich erfahren soll? es lockerer zu nehmen?
    bei Dir Götz lese ich es zwischen den Zeilen: “ mit Entspannung geht alles besser“

    Dein Roolf

    • GoetzWache2018 Autor des Beitrags

      Du bist mein Leuchtturm an Entspannung und Gelassenheit. Tritt einen Schritt zurück und betrachte die Situation mit etwas Abstand. Und?

  3. Thomas

    Hi Götz,
    ich bin erst jetzt dazu gekommen, in Deinen Blog zu schauen. Ich will auch nicht viel schreiben.
    Mich hat schon Dein Beweggrund beeindruckt: wenn nicht jetzt, wann dann? Vollkommen richtig, sag ich nur. Ich würde es wahrscheinlich irgendwann genauso machen, wenn ich nicht meine wunderbare Jacqueline hätte ;-). Vielleicht machen wir es zusammen, denn was Du so berichtest, zeigt, wie klein unsere Welt ist, in der wir täglich leben – wenn man es denn so nennen mag.
    Du machst mit Deiner Reise einen Riesenschritt in eine – DIE große Welt, uns allein um das, was Du bislang beschreibst, werden Dich viele beneiden.
    Genieße es, mach was draus und komm hoffentlich wie geplant heile zurück.
    Herzliche Grüße von Thomas und Jackie

    • GoetzWache2018 Autor des Beitrags

      Drücke Euch! Wir sehen uns in Eurem neuen Haus.

Die Kommentare sind geschlossen.