Tag 23

Tag 23

Irgendjemand schreit wie am Spieß. Oh Gott, was ist passiert? Es ist stockfinster und irgendwer schreit und hört gar nicht mehr auf. Mein Herz klopft wie wild, langsam werde ich wach und ganz langsam realisiere ich, dass der Muezzin zum Gebet ruft. So ist das in einem islamischen Land, klingt aber knapp anderes als eine orthodoxe Glocke. Muss ich mich noch dran gewöhnen.

In der Nacht sind mehrere Nachrichten von lieben Menschen aus der Heimat eingetroffen, die alle in unterschiedlichen Ausprägungsgraden an „Differenzen“ mit dem jeweils anderen Geschlecht gerade ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten neu definieren. Die wirklich helfende Botschaft in so einer Situation ist wohl noch nicht erfunden. In einem außerordentlich beeindruckenden Film heißt es, dass unser Herz den Schmerz sucht, um daran zu wachsen. Jedes Mal wenn es bricht, wächst es wieder zusammen und wird schöner, stärker und wertvoller, wie diese japanischen Schüsseln, die nach einem Bruch mit Gold geflickt werden. Dazu gibt es wunderbare Filme auf YouTube.  Ich kenne mindestens einen guten Freund, der mir für den Spruch jetzt gern eine zimmern würde. Ja, wenn man gerade nicht drin steckt in dieser Sch… hat man gut schnacken. (Yasmin, wir haben den Film vor kurzem noch zusammen gesehen und ich habe den Titel nicht parat. Schreib bitte einen Kommentar, wenn Du den Titel noch weißt.)

Nach dem Lesen der Nachrichten mache ich erst mal wieder Mucke an. Johnny Cash, wie gestern. Was kommt als erstes Lied? „Get Rhythm… when you’ve got the blues“  Die Wege des Herrn mögen ja unergründlich sein, seine Zeichen für mich sind aber aktuell an Deutlichkeit nicht zu toppen. Tanzen ist nicht jedermanns Sache, kann aber im Einzelfall durchaus etwas ablenken. Früher war es mir zu doof, zu peinlich und ich habe mich geschämt, weil ich es nicht so gut konnte. Heute ist es mir egal und ich genieße den Spaß mit mir selbst, während mein türkischer Kaffee sich setzt. Marmorfußboden und Filzpuschen sind eine coole Kombi.

 

Betty, meine Gastgeberin holt mich ab. Wir schlendern über den Markt zum Café mit dem guten Cappuccino. Kaffee trinken, plaudern. Wir haben Zeit, es ist egal, wie lange es dauert.

 

Rückweg über den Markt und frisches Gemüse einkaufen. Preise, die Dir als Deutschem die Tränen in die Augen treiben. Frische Freilanderdbeeren im Dezember für 2 € das Kilo!

 

Ich will das Meer sehen. Also den Weg zum Meer erkundet. Das Ganze im T-Shirt mit leichter Jacke drüber. Morgen berührt meine neue Badehose erstmalig Salzwasser.

 

Nach dem Spaziergang am Strand betreten wir wieder die Straße und kommen am „Grünen Baum“ vorbei. Betty sagt, man sage, der grüne Baum und sein Wirt Siggi wäre berühmt für seine Kartoffelpuffer aus handgeriebenen Kartoffeln. Klar, Kartoffelpuffer. Endlich mal eine authentische, türkische Spezialität. Das muss man mal probieren, wenn man als Multikultiweltbürger mitreden will. Was soll ich Euch sagen? Sensationell! Frische Kartoffelpuffer mit frischem Apfelkompott. Wow, das war nicht das letzte Mal!

Natürlich ist Siggi Türke, aber sein richtiger Name ist für Deutsche nicht auszusprechen und so wurde er Siggi getauft. Vielleicht nach Siggi Held, der Dortmunder Legende? Über dem Fernseher hängt zumindest mal ein BVB-Schal. Tolles Lokal… 🙂

 

Noch ein Gläschen Wein dazu und ein bisschen geplaudert. Schwupps ist es 19 Uhr und wir sitzen im Dunkeln im Dezember in T-Shirt und dünner Jacke draußen. An diesem Tag habe ich einfach nur gelebt. Großartig. Alles Wichtige und Dringende kommt morgen. Oder nächste Woche. Oder eben nicht. Ich habe ja Zeit.

3 Gedanken zu „Tag 23

  1. Jutta

    Na, da würd ich auch mit zum Neujahrsschwimmen gehen (21 Grad, pöh)
    liebe Grüße,
    Schwester 😉

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