Tag 29
Ein fiktives Interview.
Interviewer: „ Herr Wache, wenn Sie Ihre bisherigen Eindrücke von der Türkei kurz und prägnant auf den Punkt bringen sollten, was würden Sie sagen?“
Herr Wache: „Regen. Die Türkei ist ein Land, in dem es quasi ständig regnet, besser gesagt, wie aus Kübeln gießt!“
Interviewer: „Ah ja… ich bedanke mich für das Gespräch.“
Meine Super-duper-Outdoor-Survival-Jacke hängt in der Dusche und tropft noch ab, die Jeans hängt mal wieder über dem Stuhl zum Trocken. Ob meine Schuhe morgen schon wieder einsatzbereit sind, wird sich zeigen. Ich bin auf dem Rückweg vom Einkaufen in einen der Wolkenbrüche geraten, die sich hier nahezu jeden Abend einstellen. Gut, vielleicht wäre ich nicht ganz so nass geworden, wenn ich mich bei den ersten Tropfen dazu entschlossen hätte, meine Fortbewegungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Aber: javas, javas! Habe ich von Betty gelernt und heißt so viel wie langsam, langsam! Mein erster Schritt der Integration in die türkische Kultur. Habe ich schon ziemlich gut drauf und ich befolge den Grundsatz natürlich eisern, wie es sich für einen richtigen Deutschen gehört. Wenn Integration, dann aber richtig. Wenn ich noch etwas übe, bin ich auf dem Niveau von türkischen Rentnern angekommen. (Ich denke gerade an Heike und ihre Marschgeschwindigkeit. Du würdest hier durchdrehen… ???? ???? ????). Für den Weg zum Strand habe ich vor einer Woche noch 10 Minuten gebraucht, heute habe ich es in einer Viertelstunde geschafft. Ohne, dass ich eine Abkürzung gefunden hätte!
Das Prinzip javas, javas zieht sich durch alle Teile der Gesellschaft und gilt auch für Geldautomaten. Du hast alle Eingaben gewissenhaft getätigt, der Automat hat dir vor längerer Zeit auch deine Kreditkarte brav wieder überreicht und erzählt dir auf Englisch, dass du dein Geld mitnehmen sollst, bevor du dich abwendest. Erst in dem Augenblick, wo du als Deutscher alle Hoffnung fahren lässt und denkst „tja, kaputt oder Betrug“ öffnet sich die Klappe mit der Kohle. Betty war dabei und hat schallend gelacht. „Ich hab’s Dir doch gesagt, javas, javas…“
Ansonsten habe ich den Tag damit verbracht, dem Meer beim Branden zuzusehen. Nach dem Frühstück und der Meditation wie der Blitz zum Strand gehuscht und auf meiner Mauer Platz genommen.
Nach einiger Zeit habe ich festgestellt, dass meine Mauer keine Rückenlehne hat, was das ganz entspannte Chillen doch etwas erschwert. 50 Meter weiter rechts beginnt sowas wie ein Bürgersteig am Strand. Das Wort Promenade unterdrücke ich hier bewusst, der gepflasterte Weg ist bestenfalls einen Meter breit. Aber dort steht eine Parkbank und wenn man ganz allein am Strand ist, sind das perfekte Rahmenbedingungen. Also umbetten.
Die Sonne scheint, es ist die perfekte Temperatur, der Wind weht genau so, dass es angenehm ist und die Brandung brandet. Und keiner, mit dem ich reden muss. Wow! In der Vorbereitung auf meine Reise war meine größte Sorge, ob ich es mit mir alleine aushalte. In manchen Momenten hatte ich richtig Angst davor, dass ich mit mir selbst verzweifle, durchdrehe und mir eingestehen muss, nicht alleine sein zu können. Fazit nach 3 Wochen Kloster und 8 Tagen Türkei: ich kann. Es geht mir gut mit mir.
Ich werde nicht für den Rest meines Lebens alleine bleiben, doch nach den Erfahrungen hier weiß ich, dass ich mir meine nächste Partnerin auf einer anderen Basis suche. Kein Mangel, kein Unvollständigkeitsgefühl mehr. Den Rest kann ich noch nicht in Worte fassen und vielleicht gibt es ja auch Dinge, die ich für mich behalten möchte.
Ich sitze so vor mich hin auf meiner Bank und komme in diesen wunderbaren Zustand zwischen Wachen und Schlafen. Alpha-Zustand par excellence. Eins mit mir, mit Gott, dem Universum und dem Leben. So könnte es immer sein. Irgendwann dringen Schmerzen in mein Bewusstsein vor und beenden die Idylle. Der olle Körper mault. Irgendwas ist ja immer. Der Wirbel, der den Kontakt zur Rückenlehne gehalten hat, meine vor der Brust verschränkten Arme, die eingeschlafen sind, mein eingeschlafener Hintern und meine Beine, die ab Vorderkante Bank nach unten wie tot sind, sie alle jammern im Chor. Kaum sitzt man mal einen Augenblick auf einer Bank, schon macht der Körper mimimi… Ein Blick auf die Uhr relativiert das Jammern. Ich habe knapp 2 Stunden regungslos auf der Bank gesessen. Ganz großes Kino, da darf so ein Körper auch mal wieder Bedürfnisse anmelden. Das Aufstehen war lustig.
Guten Morgen, lieber Götz!
Habe, wie jeden Morgen Deinen aktuellen Beitrag hier gelesen.
Ich war am Rhein laufen und jetzt habe ich mir zum Start in diesen Tag einen doppelten Espresso gegönnt und an Dich gedacht.
Gruß aus Ludwigshafen
Jörg
Lieber Götz, ich freue mich jeden Tag auf Deinen persönlichen Newsletter. Das ist zwischenzeitlich meine erste Morgenlektüre. Es ist ein großes Geschenk für mich dich „begleiten“ zu dürfen. Starte gut in einen neuen Tag. Gruß Robert
Ihr lieben Reisebegleiter,
Eure Anteilnahme ist ein großes Geschenk, danke. Es ist ein schönes Gefühl, dass meine Gedanken nicht nur für mich wichtig sind.