Tag 52
Ich kann es noch nicht greifen, doch irgendwie verdichtet sich meine Reise hier auf Bali. Vielleicht verdichtet sich auch die Energie an diesem Platz oder dieser Platz hat eine ganz besonders hohe Schwingung oder ich steuere auf einen Höhepunkt zu oder mein Unbewusstes macht Dampf, weil es weiß, dass ich in Indien keine Zeit mehr für mich alleine haben werde oder, oder, oder… Es ist ein vages Gefühl, nebulös im Hintergrund und doch ständig präsent. Ich denke, mein Mann an Land grinst sich jetzt einen. Ich bin jetzt den 4. Tag hier und mein maximaler Aktionsradius beträgt 207 Schritte. Habe ich ausgemessen. Von meiner Pavillontür bis zum Meer sind es 207 Schritte. Weiter kann ich hier nicht laufen, alle anderen Wege sind kürzer. Mir fehlt aber nichts. Dieser Aktionsradius füllt mich vollständig aus. Vielleicht mache ich morgen einen Ausflug zu einem Wasserfall mit. Dauert nur 2 Stunden und erscheint mir als gerade noch akzeptabel. Hauptmotivation ist, herauszufinden, ob ich dadurch in den Eindrucksüberlauf komme. Alle anderen Touren überfordern mich schon beim dran Denken.
Ich bin nach dem Frühstück ins Meer gesprungen. Endlich, denn vorher bin ich nicht richtig angekommen. Der Zugang führt über spitze Steine und ein kleines Korallenriff. Da machen Badeschuhe großen Sinn und ich befolge die Empfehlung. Mein Ziel ist ein kleiner Ponton, der ca. 100 Meter vorm Strand verankert ist. Ungefähr auf halbem Wege streicht etwas Großes unter Wasser über meine rechte Wade. Ich erschrecke wie verrückt und fange wie wild an zu strampeln. Erst nach intensivem Kampf über vielleicht 5 Sekunden gibt das Seeungeheuer auf und ich gewinne den Kampf gegen die Sohle meines rechten Badeschuhs, die sich gelöst hatte. Ich schaue ihr beim Versinken zu und freue mich über meinen glorreichen Sieg. Junge, was habe ich mich erschrocken.
Eingeholt zu werden von alten Mustern hat dann heute den Tag bestimmt. Im Laufe des Tages denke ich mich in eine Negativspirale. Die vergangenen drei Jahre haben körperlichen Tribut gefordert, der mich heute massiv mit mir, meinem Körper, dem Alterungsprozess an sich und der Frage, wann ich den endlich glücklich, gesund, wohlhabend und zufrieden sein werde hadern lässt. Enja hat mir mit einem Beispiel aus ihrem Leben, das zu schierer Verzweiflung taugt, meinen Kopf wieder gerade gerückt. Das ich aber auch wieder auf den alten Scheiß reingefallen bin. Der Verstand hat wieder nach einen Kauknochen gesucht und sich mit Begeisterung der Endlosspirale der vergeblichen Problemlösung hingegeben. Ohne ihn zu kennen, hat Enja im Grunde Eckhart Tolle aus seinem Buch „Jetzt“ zitiert. Sie sagte „es gibt keine Zukunft, es gibt keine Vergangenheit, es gibt nur das Jetzt und das Jetzt hier gerade ist doch nicht schlecht!“ Tja, was sollst du dazu sagen, direkt nach einem leckeren, balinesischen Abendessen in einem offenen Restaurant mit Blick auf den Ozean bei perfekter Temperatur? Tolle sagt in seinem Buch „frage dich, welches Problem hast du jetzt? Nicht vorhin, nicht nachher, jetzt in diesem Augenblick?“ Wenn es mir gelingt, mir diese Frage im jeweiligen Moment des Haderns ins Gedächtnis zu rufen, war bisher immer Ruhe im Karton. Gelingt mir bloß nicht immer. Heute zum Beispiel. Was war das jetzt? Ein Scheißtag oder ein sensationeller Tag, weil Gott mir wieder sofort einen Boten geschickt hat? Glauben und jederzeitiges Vertrauen sind immer noch eine Herausforderung. Aber eine lohnende.