Tag 63

Tag 63

Aus dem Mittagsschläfchen aufgewacht mit Gedanken über den Konjunktiv. „Könnte“ ist ein mächtiges Wort. „Könnte“ ist, glaube ich, ein Wort unseres Verstandes, dass er benutzt, wenn er auf der Suche nach einem Problem ist, auf dem er herumkauen kann wie der Hund auf seinem Kauknochen. Es könnte schief gehen. Es könnte nicht perfekt werden. Es könnten, wenn ich dieses oder jenes tue, Probleme in der Zukunft auftauchen, für die ich heute noch keine Lösung habe. Dann lasse ich es lieber. „Könnte“ scheint mir ein hinterhältiger Feind des Fortschritts zu sein. Ein Wort, das sich in unsere Gedankenwelt einnistet, unsere Entwicklung verhindert oder zumindest erschwert. Ich bin zwar kein Seemann (Uwe verzeih mir bitte), doch wenn ich es im Kino richtig wahrgenommen  und mir richtig gemerkt habe, wird, wenn ein großes Schiff im Hafen vertäut werden soll, zunächst ein kleines Gewicht von Bord Richtung Kai geworfen, das eine ganz dünne Schnur hinter sich her zieht. Diese dünne Schnur geht in ein Seil über, an dem schlussendlich das armdicke Tau hängt, mit dem der Riesenpott in seine Position gezogen und festgemacht wird. „Könnte“ ist die dünne Schnur. Unser Verstand denkt vor sich hin auf der Suche nach einer „ja-aber-es-könnte-doch-sein-dass-Schnur“. Diese Schnur wird sicher gefunden, man muss nur lange genug suchen und sich die abstrusesten Konstruktionen zurecht denken. Wenn man die Schnur erst einmal hat, denkt man weiter in diese Richtung. Man zieht an der Schnur, sie wird unweigerlich dicker, geht in das Seil, in das Tau und in ein unübersehbar großes, erdrückendes, den Horizont verdunkelndes Problemschiff über.

Durch ein Gespräch beim Mittagessen ist die Saat für diese Erkenntnis gesät worden. Neben dem reichlichen Mittagsmahl habe ich mir noch eine größere Portion Dessert reingezogen. Gebackene Banane mit Honig einigen Tropfen Limettensaft und Zimt verfeinert. Insgesamt eine Kohlenhydrate-Infusion, die ein komatöses Mittagsschläfchen eingefordert hat. Passte sowieso gerade gut, da ein leichter Schauer herniederging und mich die Geräusche der Tropfen wunderbar schläfrig gemacht haben.

Noch etwas worauf ich in Zukunft achten möchte. Immer wenn mir „ja-aber-es-könnte-doch-sein-dass“ in den Sinn kommt, soll eine realistische Risikoeinschätzung automatisch erfolgen. Wenn durch die Risikoeinschätzung feststeht, dass bei Realisierung des Gedankens bzw. der Idee unweigerlich irreparable Folgen oder Schäden für den Rest meines Lebens oder für andere Personen oder Sachen eintreten, sollte ich es lassen. In allen anderen Fällen sollte ich „ja-aber-es-könnte-doch-sein-dass“ in den Arsch treten und dem Leben und mir die Chance zur Entwicklung geben. Eckart von Hirschhausen sagt an irgendeiner Stelle auf irgendeiner seiner CDs dass, wenn wir es nicht versuchen, wir uns am Ende unseres Lebens eingestehen müssen, dass wir noch nicht einmal gescheitert sind! Eine unfassbare, desaströse Lebensbilanz. Ich habe Gott sei Dank in meinem Leben schon so viel Blödsinn gemacht, bin schon so glorreich gescheitert und heldenhaft wieder aufgestanden, dass sich der Spruch „ist noch nicht einmal gescheitert“ ganz sicher nicht auf meinem Grabstein finden wird. Ein tröstlicher Gedanke, obwohl ich gerade feststelle, dass ich mich hier in ziemlich abstruse Ecke argumentiert habe. Das liegt am Headset. Ich liege auf meiner Veranda auf der Liege, schaue ins Grüne, habe die Hände hinter dem Kopf verschränkt, das Headset eingestöpselt und quatsche so vor mich hin. Der Laptop schreibt mit. Die dabei herauskommenden Gedanken sind mal besser und mal schlechter. Auf jeden Fall hat es lustige Aspekte und trägt zum Amüsement des Autors bei.

Vielleicht sind die wirren Gedanken auch der Tatsache geschuldet dass ich heute um 5:30 Uhr aufgestanden bin, um mir den Sonnenaufgang anzusehen. Von unserem Ressort aus gesehen geht die Sonne rechts hinter den Palmen auf, d. h. man sieht sie nicht aufgehen, sondern nur, wie der Himmel sich verfärbt und irgendwann ist es dann hell. Völlig unspektakulär, aber mit der ersten Tasse Kaffee des Tages dem allerersten Fischer zuzusehen, wie er in der Dämmerung rausfährt, hat auch was.